Tebels-Analyse : Poker mit hohem Einsatz

Tebel-Report. – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist ein Freund symbolischer Gesten und starker Worte. So verehren ihn auch seine Anhänger: Als Politiker, der mit den wichtigsten Staatenlenkern der Welt auf Augenhöhe konferiert und der Türkei Geltung einer „Semiweltmacht“ verleiht.

Kaum verwunderlich also, dass es unlängst die türkische Presse dankbar aufnahm, dass Donald Trump Erdoğan für die Bemühungen der Türkei dankte, eine „humanitäre Katastrophe“ in Idlib zu verhindern. Ein Dank von jenem US-Präsidenten, der erst im Vorjahr überstürzt einen Rückzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien billigte, nachdem ihn die Türkei mit der Androhung bevorstehender militärischer Schritte aus Nordsyrien gedrängt hatte.

Erdoğans Strategie erwies sich gegenüber der Weltmacht USA als erfolgreich. Ein Pokerspiel mit einem schmalen Grat zwischen Bluff und Handlung, sobald das vis à vis leichteste Schwäche zeigt.

Die selbe Strategie wendet Erdoğan nun auch gegen Wladimir Putin an, um den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad von Russland zu trennen: Säbelrasseln, die ultimative und erst am Dienstag wiederholte Forderung eines Rückzuges der syrischen Armee hinter die türkischen Beobachtungsposten bis zum Monatsende, erste offene Unterstützung der islamistischen Rebellenmilizen durch die türkische Artillerie und ein lautes Nachdenken, ob man nicht den syrischen Luftraum für türkische Kampfflugzeuge öffnen könne.

Ob sich aber Wladimir Putin vom türkischen Präsidenten ein Ultimatum setzen lässt, ist fraglich. Denn während US-Präsident Donald Trump zu keiner Zeit ein besonders großer Anhänger des Syrien-Engagements war und auch bereits Monate vor dem Einmarsch der Türken im Rahmen der Operation „Peace Spring“ einen Abzug der US-Streitkräfte ins Spiel gebracht hatte, besitzt Syrien für Russland eine weit höhere strategische Bedeutung. Russland unterhält hier den großen Militärflughafen in Hmeimin und zudem den einzigen russischen Marinestützpunkt am Mittelmeer. Ein Einlenken auf Erdogans Forderungen würden daher auch letztlich Russlands geopolitischen Ziele im Mittleren Osten beschädigen und einen wirtschaftlichen Aufschwung Syriens weiter verhindern.

So verwundert es auch nicht, dass sich Russland zwar die Türkei als Handelspartner und Mitstreiter gegen die US-amerikanische Dominanz erhalten möchte, aber keinen Zweifel an der Unterstützung Syriens aufkommen lässt. Erst am Dienstag lehnte der russische Außenminister Lavrov einen Waffenstillstand als Kapitulation vor den „Terroristen“ ab. Zudem bringt die syrische Armee seit dem Wochenende weitere Landstriche im Süden der Rebellenenklave unter ihre Kontrolle.

Damit ist ein Waffenstillstand momentan unwahrscheinlich, auch wenn gegenwärtig eine russische Delegation in Ankara Verhandlungen führt und 14 europäische Außenminister in der französischen Le Monde „das syrische Regime“ und Russland auffordern „zu den Waffenstillstandsvereinbarungen vom Herbst 2018 zurückzukehren.“

Maßgebliche Bewegung könnte es Anfang März geben, wenn einander der türkischen Präsident und sein russischer Amtskollege treffen.

Bis dahin wird die syrische Armee versuchen, den gesamten Süden der Rebellenenklave bis zur Autobahn M4 zu überrollen, während die Türkei ihrerseits islamistische Rebellenmilizen unterstützen wird, um Saraqib zu erobern. Seit Montag konnten diese Neyrab, Sas und Ma‘arat Alia und Afis einnehmen und sich bis auf drei Kilometer an die strategisch wichtige Stadt schieben, die direkt an der Einmündung zweier wichtiger Autobahnen liegt.

Somit spielt die gegenwärtige Situation Erdoğan zwei strategische Möglichkeiten in die Hand. Erweist sich die syrische Armee trotz russischer Unterstützung als schwach und lässt sich Saraqib rasch und mit geringen Verlusten einnehmen, könnte die Türkei ermutigt sein, weitere militärische Schritte zu setzen. Sonst würde die Eroberung Saraqibs und die Sperre der Autobahnverbindung zwischen Damaskus und Aleppo immerhin Erdoğans Position für künftige Verhandlungen stärken.

Nur eines wird der türkische Präsident fürchten müssen: Bilder von eigenen Soldaten, die in Särgen in die Heimat transportiert werden. Vielleicht erklärt das auch die gelassene Härte Syriens und Russlands. In Idlib stehen mehr als 7 000 türkische Soldaten in der Nähe des Frontverlaufes oder sind in ihren Beobachtungsposten von syrischen Einheiten eingekesselt.