Liste Peter Pilz: KONTROLLFUNKTION UND VERBINDUNG ZUR ZIVILGESELLSCHAFT – Interview mit Peter Kolba, Spitzenkandidat der Liste Peter Pilz in Niederösterreich

Peter Kolba, Spitzenkandidat der Liste Peter Pilz in Niederösterreich, im Gespräch mit dem Tebel-Report


Tebel-Report:
Für die einen ist Peter Pilz ein unangenehmer, unbequemer Aufdecker, für andere ein Selbstdarsteller. Sie selbst sind ein verdienstvoller Konsumentenschützer, mehr als zwanzig Jahre hindurch in leitender Funktion im VKI. Wofür steht die Liste Pilz? Welche Anliegen vertreten Sie?

Peter Kolba: Ja, zum einen haben wir vielleicht ein ähnliches Schicksal. Peter Pilz war jahrzehntelang in öffentlichen Vertretungskörpern: kurz im Gemeinderat und 30 Jahre lang Parlamentarier. Ich war dreißig Jahre im Verbraucherschutz tätig, davon 26 Jahre beim VKI. Wir beide wurden dann, sozusagen, mit der eigenen Organisation unzufrieden: er mit den Grünen, ich schon ein halbes Jahr vorher mit dem VKI, dem Verein für Konsumenteninformation. Wir beide mussten uns von etwas abnabeln, was wir beide jeweils aufgebaut hatten. Ich meine, Peter Pilz ist Gründungsmitglied der Grünen und ich hab‘ im VKI den Bereich „Recht“ aufgebaut. Begonnen hatte ich dort als der erste Jurist und jetzt – bei meinem Abgang – waren es doch 20 Mitarbeiter in diesem Bereich. Davon verabschiedet man sich auch nicht so leicht. Das muss man sich wohl überlegen.

Als mich dann der Peter Pilz im Sommer fragte, ob ich bereit wäre an seiner Liste mitzuwirken, hat sicher mitgespielt, dass ich ihn schon seit dreißig Jahren kenne. Damals war ich Aktivist beim Abfangjäger-Volksbegehren und er der Eintragungsbevollmächtigte. Seither standen wir im losen Kontakt miteinander.

Das was wir uns, sozusagen, mit wenigen anderen ausgedacht haben, ist folgendes: Es macht Sinn, wenn Experten, Expertinnen aus der Zivilgesellschaft ins Parlament streben. Allerdings brauchen diese wahrscheinlich eine ganze Legislaturperiode Eingewöhnungszeit, um die Tricks der Geschäftsordnung wirklich zu durchblicken und die parlamentarischen Mittel nützen zu können.

Tebel-Report: Peter Pilz müsste es schon kennen

Peter Kolba: Genau. Das ist nämlich der Ansatz. Auf der einen Seite haben wir Peter Pilz und andere g‘standene Abgeordnete, die diesen Betrieb kennen. Auf der anderen Seite haben wir ganz viele Experten, Expertinnen aus der Zivilgesellschaft in unseren Reihen, die Expertise in den verschiedensten Gebieten einbringen. Das ist unser Konzept: 1) gewiefte Parlamentarier, 2) Heerscharen von Experten und Expertinnen und 3) den Dialog mit den Bürgern aufnehmen.

Momentan unterscheiden wir uns mit unseren Stammtischen mit den Kandidaten und Kandidatinnen noch nicht erheblich von anderen Parteien. Das Ziel ist es, dass wir es durchlässiger gestalten und dass Bürgeranliegen in das Parlament kommen. Dazu wird uns nach der Wahl noch sehr viel einfallen, wie beispielsweise auch der Einsatz von digitalen, netzgestützten Lösungen. In der kurzen Zeit seit unserer Gründung haben wir viel aus dem Boden gestampft, aber der Feinschliff kann erst nach der Wahl erfolgen.

Tebel-Report: Was sind die Grundanliegen, die Themen? Wofür wollen Sie sich einsetzen?

Peter Kolba: Wir haben drei zentrale Ziele, die uns einen. Das sind Kontrolle – Sicherheit – soziale Gerechtigkeit. Das sind Überschriften, wie man sie in jeder Wahl von den verschiedensten Seiten präsentiert kriegt. Ich glaube auch, dass wir das mit dem Peter Pilz auch ganz gut auffüllen können. Kontrolle liegt auf der Hand. Dafür steht er und wird von vielen auch geschätzt. Sicherheit ist das Thema, glaube ich, wo er den Konflikt mit den Grünen hatte. Ich finde, dass man es ernst nehmen muss, wenn Menschen Angst haben, vor was auch immer. Ob gerechtfertigt oder nicht: Da muss man sie abholen und da muss man auch Lösungen anbieten.

Mein Thema wird vor allem der Mieter- und Verbraucherschutz sein. So, wie bei mir, stehen auch die anderen Kandidaten und Kandidatinnen aus ihrem Berufsleben für etwas. Zum Beispiel der Dekan der Informatik an der Technischen Universität, Hannes Werthner, ein Spezialist für die digitale Zukunft oder Martin Gruber auf dem Gebiet des Wohnrechts. Martin Gruber macht seit dreißig Jahren in der mobilen Gebietsbetreuung in Wien Wohnrechtsberatung und wirkte auch an Gesetzesnovellen mit. Sepp Eisenriegler wiederum, der das Zentrum R.U.S.Z. aufgebaut hat, beschäftigt sich mit künstlicher Obsoleszenz.

Wir haben also für viele Bereiche Top-Experten und Expertinnen und deren Programm ist auch das Programm der Liste. Die zentralen Begriffe sind – wie es sich in einem Wahlkampf so gehört – zugespitzt auf Sicherheit, Kontrolle und soziale Gerechtigkeit.

Für unsere Arbeit haben wir uns ausgemacht, dass wir das freie Mandat wirklich leben werden. Das heißt nicht, dass jeder einer anderen Meinung ist, wir werden uns um eine Konsensdemokratie im Klub bemühen. Das bedeutet, dass es keinen Klubchef geben wird, der vorgibt wie zu stimmen ist, sondern jeder nach seinem Gewissen abstimmen wird. Es ist aber keineswegs zwingend – wie das öfters diskutiert wird – dass jeder einer anderen Meinung ist. Nein, verglichen mit einem autoritär geführten Klub wird es für uns nur mehr Aufwand bedeuten, weil wir nur auf Verständnis und Überzeugung setzen können.

Tebel-Report: Wo stehen Sie weltanschaulich?

Peter Kolba: Da muss ich nachfragen. Die Liste Pilz oder ich persönlich?

Tebel-Report: Die Liste Pilz.

Peter Kolba: Das ist nicht so einfach einzuschätzen. Ich würde aber doch meinen, dass wir sicher eher eine linksliberale Gruppierung sind, die an wirkliche Probleme anknüpfen und praktische Lösungen bieten will. Mit dieser Einordnung tu‘ ich mir ein bisschen schwer, weil sie implizieren würde, dass man es von einer Ideologie herunterbricht, wie man in einem ganz konkreten Problem agiert. Das ist bei uns – würde ich sagen – nicht so. Mit dem freien Mandat passt das nicht zusammen. Ich würde uns links von der SPÖ und links von den GRÜNEN ansiedeln. Wenn Sie da alle bei uns fragen, werden Sie verschiedene Antworten kriegen. Das ist einfach so.

Tebel-Report: Sie sind feministisch, antidiskriminierend, vielleicht Befürworter derPolitical Correctness“?

Peter Kolba: Das ist links?

Tebel-Report: Bitte?

Peter Kolba: Das ist jetzt die Summierung von links?

Tebel-Report: Das ist schon linksliberal

Peter Kolba: Na ja, ich hätte links eher mit der Haltung zum Wirtschaftssystem in Verbindung gebracht. Selbst dort passt es nicht. Ich kann es Ihnen an einem Beispiel aufzeigen: In meinem Bereich, dem Konsumentenschutz, würde ich, wenn ich mich als links definiere, diesen als eine staatliche Aufgabe verstehen und die Aufgabe dem Staat zugestehen. Nun, jetzt habe ich erlebt, dass es der Staat macht, aber er macht es nicht gut.

Für mich war der VW-Skandal der Auslöser, mich damit genauer auseinanderzusetzen: Warum zahlt VW in den USA 20 Milliarden und führt in Europa gerade einmal ein Software update durch? Es hängt mit dem Sammelklagsystem in den USA zusammen. Das ist wieder etwas ganz streng marktliberales, aber es funktioniert. Das heißt, in den USA ist es einfach so. Weil sich ein Anwalt dabei gesund stoßen kann, drum macht er sie. Aber dieses Motiv dort funktioniert. Daher war mein logischer Schritt, als ich den VKI verlassen hatte, dass ich sagte: Ich baue jetzt eine Plattform auf, die gemeinnützig ist, aber die mit Anwälten und Prozessfinanzierern zusammenarbeitet. Die sollen auch ordentlich verdienen. Dieser Weg in die freie Wirtschaft war auch lehrreich, weil man da wieder lernt, dass dann auch wieder das Gewinninteresse dominiert. Es ist so. Und auch das hat wieder Auswirkungen, die nicht so gut sind. Als bildkräftiges Beispiel: Unter Juristen wird „Legal Tech“ diskutiert, ein ganz moderner Begriff. Es gibt viele Veranstaltungen dazu und das bedeutet, dass man möglichst EDV-gestützt sammelt, Daten sammelt und im Austausch mit seinem Mandanten ist. In unserem Zusammenhang habe ich mich beim Sammeln von VW-Geschädigten auf einer deutschen Anwaltsplattform als Donald Duck aus Entenhausen angemeldet und konnte tatsächlich ein Mandat begründen. Die Anwaltskanzlei hat mir zurück geschrieben, dass sie jetzt meine Anwaltsinteressen vertreten wird. Ich hoff‘ sie klagen nicht ein. Das ist auch ein Auswuchs.

Ich wollte an diesem Beispiel aufzeigen, dass das alte links – rechts-Schema nicht mehr so klar für uns gilt. Wir wollen keine ideologischen Lösungen. Denn, was hilft es, wenn ich aus ideologischer Sicht sage, dass der Staat stark sein muss und den Konsumentenschutz machen soll, wenn der Staat gleichzeitig immer schwächer und schwächer wird und es nicht macht. Da vertrete ich jetzt den praktischen Ansatz, dass ich sage: Wenn es leichter ist, den Markt zuzulassen, dann bitte lasst den Markt zu.

Tebel-Report: Mit der Kritik an Islamverbänden werden Sie mitunter auch ins rechtspopulistische Eck gestellt. Was ist für Sie Rechtspopulismus?

Peter Kolba: Es kommt immer auf die eigene Position an. Rechtspopulismus würde ich so beschreiben. Ich mache Politik mit der Angst. Angst vor Fremden ist, so glaube ich, im Moment das gängige Wahlkampfmotiv von den Rechtspopulisten in Europa. Man sucht sich Feindbilder und lenkt damit von den sozialen Problemen ab, die tatsächlich bestehen.

Tebel-Report: Gibt es auch Linkspopulismus?

Peter Kolba: Kommt wieder auf die eigene Position an. Ich würde es für mich oder die Liste Pilz nicht verwenden wollen, aber man könnte es auch verwenden, weil: Das Neue an uns ist folgendes: Man kann auch mit linken Inhalten Dinge nicht einfach ideologisch runter deduzieren und dann sagen, dass so die Welt werden muss. Das ist ein bisschen das, was ich den Grünen vorwerfen würde. Das sie sagen, sie haben klare Vorstellungen und das kommt manchmal in Gebots- und Verbotsform und nicht in Dialog und Überzeugung.

Linkspopulismus würde ich so sehen: Ich knüpfe dort an, wo die Leut‘ stehen und biete Lösungen an, die natürlich geprägt sind von dem Hintergrund, den man hat, oder den, in diesem Fall, alle KandidatInnen gemeinsam haben. Es gibt ja den interessanten Dialog in der Linken in Deutschland, die ja doch eine größere Partei sind, wo ja dieser Streit innerhalb dieser Partei ausgefochten wird. Da stehen Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine eher für einen linkspopulistischen Zugang und dann gibt es natürlich auch die Ideologen, die sagen: ihr verratet unsere Ideale, wenn ihr da jetzt einmal etwas gegen zu große Migrantenströme sagt. Und das ist, glaube ich, der Unterschied. Ich kann jetzt etwas ideologisch analysieren, oder ich kann mir, und das wäre jetzt Populismus, die Sachen anschaun und benenne es schon so, dass es die Leute verstehen können.

Tebel-Report: Den Rechtspopulisten werfen Sie also nur vor, dass diese keine Lösungen präsentieren, sondern mit der Angst agieren? Weil sonst wäre es ja das selbe?

Peter Kolba: Der Witz ist der, meines Erachtens, dass es in Österreich das große Versäumnis der Grünen war, die Rolle einer hörbaren Opposition völlig der FPÖ überlassen zu haben. Die Grünen auf Bundesebene sind schon so was von konstruktiv, dass man glaubt, sie seien die Pressesprecher der Regierung. Das ist ein Mitgrund, dass die Menschen, die mit dem politischen System nicht zufrieden waren – und das wurden ja immer mehr – entweder nicht mehr wählen gingen oder als Protestwähler in einem Ausmaß zur rechtspopulistischen FPÖ gewandert sind – das sollte man ja auch nicht unter den Tisch fallen lassen – wie es das in anderen westeuropäischen Ländern gar noch nicht gibt. Man diskutiert in Deutschland, wenn die AfD 13 Prozent hat, was jetzt passiert ist. Wir hatten voriges Jahr Bundespräsidentenwahl, wo knapp 50 Prozent den Norbert Hofer mit den Inhalten der FPÖ – er war Parteikandidat – wählten.

Tebel-Report: Gut. Aber sagen wir auch so. Vielleicht fühlen sich viele Menschen eben auch nicht verstanden, weil ihnen der Heimatbegriff wichtig ist und sie die eigene Kultur auch für die Zukunft sichern wollen.

Peter Kolba: Das wird sicher so sein. Das hat viele Ursachen, aber es war für die FPÖ bislang sehr einfach in der Opposition scharfe Kritik zu üben, mit der auch gehört zu werden. Da haben viele Leute, und das verstehe ich – ist ja nachvollziehbar -, darauf gesetzt, dass die jetzt diese Art von Stillstand durchbrechen werden.

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man die Leute mit den Problemen ernst nimmt, aber nicht nur Parolen bietet, sondern Lösungen. Das ist unser Ziel und damit, das sagen wir ganz offen, wollen wir der FPÖ Wähler wegnehmen.

Tebel-Report: Sie nehmen also die rechten Themen ernst, wollen konstruktive Lösungen anbieten, als Alternative.

Peter Kolba: Ja.

Tebel-Report: Die Liste Peter Pilz ist eine Partei (wider Willen). Ursprünglich sollte sie nur eine Bewegung sein. Jetzt wurde sie als Partei gegründet, um die Parteienförderung zu erhalten; es gibt kein Parteiprogramm und nur vier Mitglieder. Gibt es dafür Vorbilder in der politischen Szene oder ist das eine wirkliche Neuerung, ein neues Demokratiemodell?

Peter Kolba: Man muss es anders angehen. Wir haben uns zusammengesetzt und gesagt, dass wir keine Partei, sondern eine Bewegung sein wollen. Bewegung soll signalisieren, dass es kein zentrales Parteiprogramm oder eine Bindung daran gibt, sondern dass die Kandidaten, Kandidatinnen dafür stehen und freies Mandat haben. Wir hätten also die Liste als sogenannte Wahlpartei einreichen können, denn nach dem Parteiengesetz muss ich nicht unbedingt eine Partei gründen. Nur, bei den Förderungen ist es so, dass das entsprechende Gesetz leider nicht klar genug sagt, ob das jetzt nur die Partei im Sinne des Parteiengesetz kriegt, oder auch die Wahlpartei. Wir haben gesagt: Auf die Unsicherheit wollen wir uns einfach nicht einlassen, weil wir ja mit dem Geld dann politische Arbeit machen wollen und wir wollen nicht dann auf ewig beim Verwaltungsgerichtshof herumstreiten, wie man das Gesetz auslegt. Daher hat die Partei eine reine Zweckfunktion. Das was wir sein wollen, ist eine Bewegung. Daher sind in der Partei auch nur vier oder fünf Mitglieder. Da sollen auch nicht mehr jetzt Mitglied werden. Es gibt aber eine Verschränkung in den Statuten. Die Statuten sind veröffentlicht auf unserer Webseite. Es gibt eine Verschränkung mit dem Klub, der zu bilden sein wird. Also, so viele wie eben gewählt werden, werden einen Klub bilden im Parlament. Die werden bestimmen wo es langgeht und nicht die Partei.

Unser Ziel ist es aber, dass wir einen Bürgerdialog anregen. Das kann man im Wahlkampf nicht aufbauen. Das ist etwas für danach und dafür braucht man das Geld. Wir wollen es ja nicht so investieren, dass wir uns mit möglichst vielen Pressesprechern umzingeln und niemanden mehr zu uns durchlassen, sondern wir wollen in einem steten Austausch sein und dafür braucht es schon eine Infrastruktur und die wollen wir damit finanzieren. Das ist die Idee.

Tebel-Report: Spannend. Also Vorbilder im Ausland gibt es gar nicht?

Peter Kolba: Mag es geben, aber wir haben überhaupt nicht an Vorbilder gedacht, sondern gesagt: Es soll eine Bewegung sein und die Partei war aus rein juristischer Zweckmäßigkeit notwendig.

Tebel-Report: Es ist eigentlich ein Demokratie-Experiment, das mit der Bevölkerung interagiert.

Peter Kolba: Genau. Wir wollen keine Missionare sein. Als Liste Pilz durch Österreich missionieren gehen und schaun‘, dass auch in jeder Gemeinde ein Gemeinderat der Liste Pilz sitzt – das wollen wir nicht. Es soll eigentlich umgekehrt funktionieren. Es soll wie eine Graswurzelbewegung von unten nach oben gehen. Wenn die Liste Meier oder Müller irgendwo kandidiert, dann kandidieren sie und wenn sie aber mit unseren Vorstellungen einer Bürgerdemokratie übereinstimmen, dann werden sie bei uns Unterstützung finden. Ich glaube, dass es heutzutage wichtig ist, Unterstützung durch Vernetzung zu bieten und das können wir ja im Parlament sicher machen, denn dafür brauch‘ ich keine Mehrheit. Da muss ich nur den Willen haben und ich muss es machen.

Wir wollen Kontrolle und Transparenz herstellen und öffentliche Diskussionen über ein Thema führen. Ich darf das an einem guten Beispiel erklären: Über Sammelklagen in Österreich wurde bisher nur im Ministerium mit Sozialpartnerbesetzung in Arbeitsgruppen geredet. Eine öffentliche Diskussion fand nicht statt. Seit dem VW-Skandal ist das anders, weil die Leute natürlich sagen, dass sie es auch nicht verstehen, wenn dort so viel gezahlt wird und da so wenig. Das ist es. Man muss diese Themen aus dem Parlament rausholen und den Leuten klar machen, was dort verhandelt wird.

Es gibt beispielsweise eine Problematik im Verbraucherschutz, die im Moment sehr akut ist. Man kann von Lebensversicherungen den Rücktritt erklären, wenn man jemals über das Rücktrittsrecht falsch aufgeklärt wurde. Das geht auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zurück, der OGH ist dem gefolgt und die Gerichte haben im Grunde eine Straffunktion. Sie sagen, wenn das ein Versicherer nicht ordentlich macht, dann gibt es eine sehr scharfe Strafe, nämlich den Rücktritt. Der Rücktritt beseitigt den Vertrag von Grund auf und führt dazu, dass ich mehr Geld heraus kriege als im Falle des reinen Zeitablaufs oder einer Kündigung. Denn, das kann ich auch vorzeitig. In beiden Fällen bekomme ich aber erheblich weniger, als wenn ich den Rücktritt erkläre. Und dieser Rücktritt war vom EuGH lebenslang festgesetzt, also auch für alte Verträge geltend. Das heißt, das betrifft in Österreich nach unserer Schätzung etwa 5 Millionen Lebensversicherungsverträge und wahrscheinlich Milliarden Euro. Die Versicherer wollen das nicht, verlieren in den anhängigen Verfahren bei Gericht aber und haben die beiden Großparteien dazu gebracht, das die jetzt – offensichtlich mit dem Kalkül, dass das im Wahlkampf untergeht – eine Novelle zum Versicherungsvertragsgesetz einzubringen.

Sie haben keinen Ton dazu gesagt, dass sie das Rücktrittsrecht für ausgelaufene Verträge de facto abschaffen wollen. Das findet sich im Gesetz, aber das kann man nur mehr als Jurist, der in diesem Sachthema drinnen ist, erkennen. Ich habe das öffentlich gemacht. Es ist in die Nähe eines Skandals gekommen, weil u.a. der Herr Jarolim, Justizsprecher der SPÖ, gleichzeitig im Gerichtsverfahren die Versicherung vertritt. Das ist für mich ein gutes Beispiel. Solche Dinge muss man öffentlich machen. Das kann ich alleine versprechen, das ich das in meinen Bereichen so halten werde. Dafür brauchen wir keine Mehrheit. Wir wollen natürlich auch Gesetze beeinflussen. Klar, aber dann muss man dort schauen und werben um parlamentarische Mehrheiten. Da ist es unsere Hoffnung, wenn es alles in einer öffentlichen Diskussion abzieht, dass die rationaler zugeht, als wenn das irgendwo hinter verschlossenen Türen stattfindet.

Tebel-Report: Würden Sie mit der FPÖ in Sachfragen auch zusammenarbeiten?

Peter Kolba: Ja.

Tebel-Report: Sind Sie für Volksbefragungen?

Peter Kolba: Wir wollen das ausbauen. Wie genau wir jetzt die Mitbestimmung ausbauen wollen, haben wir noch nicht untereinander diskutiert. Es ist nicht abgestimmt. Wir haben eben vor, einerseits die Bürgerbeteiligung in Szene zu setzen. Da brauchen wir keine Gesetzesänderung. Das machen wir. Aber wir wollen auch, dass es natürlich Volksbegehren geben kann. Bei Volksbegehren ab einer gewissen Stimmenanzahl – die Größenordnung müssen wir uns noch diskutieren – soll eine automatische Volksabstimmung folgen. Die Volksabstimmungen, die mit viel Aufwand vom Bürgerinitiativen gemacht werden, um dann bei irgendeinem Ausschuss und von dort in der Schublade zu landen: das ist keine Bürgerbeteiligung.

Tebel-Report: Jetzt bin ich bei den Abgrenzungen. Wie grenzen Sie sich von GRÜN ab?

Peter Kolba: 1) Man muss eines sehen. Wir haben 150 Kandidaten in ganz Österreich. Die sind nicht Kandidaten geworden aus Empörung heraus, dass Peter Pilz nicht auf Platz 4 gewählt wurde. Für mich war es immer so, dass ich in die GRÜNEN viel Hoffnung hineingesetzt habe. Ich habe sie auch gelegentlich gewählt. Ich war aber zunehmend unzufrieden über diese Verweigerung der Oppositionsrolle. Das hat sich natürlich aufgeschaukelt. 2016 war das Jahr der ewigen Bundespräsidentenwahl. Da haben sich die GRÜNEN mit Themen zurückgehalten, weil sie ja versuchen wollten, dass 50 Prozent Van der Bellen wählen. Das hat sich aber leider 2017 weiter fortgesetzt. Für mich sind sie zu wenig angriffslustig gewesen und Mitschuld, dass die FPÖ so stark wurde. Ich will eine kantige Oppositionspolitik und will eine solche auch selbst betreiben.

Tebel-Report: Mit denselben Themen?

Peter Kolba: Nicht zwingend. Es gibt da auch Dilemmata. Bleiben wir beim Beispiel des VW-Skandals. Aus Sicht des Konsumentenschützers sage ich, dass es eine Sauerei ist, wenn in Österreich der Diesel steuerlich privilegiert wird, obwohl er nicht so sauber ist, wie von der Autoindustrie immer behauptet. Als logische Folge hat diese Privilegierung keine Basis mehr und jetzt kann ich entweder die Steuer auf Benzin senken oder die Steuer auf Diesel erhöhen. Und da gibt es, wenn ich soziale Gerechtigkeit ins Treffen führe, schon das Problem: Es gibt viele Pendler, die sind einfach auf ihr Auto angewiesen, die sind von VW betrogen worden und haben jetzt ein Auto, das erheblich weniger Wert ist, wenn sie es jetzt verkaufen wollten. Mit einer Erhöhung der Diesel-Steuer würden sie ein zweites Mal bestraft werden. So. Dann gibt es genauso die weiter blickende ökologischen Sicht, die sich sagt: Steuern auf fossile Energien sollten überhaupt erhöht werden. Nun habe ich zwei Zielvorstellungen, beide ehrenwert, und komme plötzlich zu völlig entgegengesetzten Forderungen.

Hier sehe ich auch die Stärke der Liste Pilz: Entweder es kann mich jemand überzeugen oder ich kann auch solche Dilemmata zugeben. Auch so fördert man die Teilhabe an der Politik.

Tebel-Report: Liste Kurz. Wie sehen Sie das?

Peter Kolba: Na ja, das ist ein durchgestylter Wahlkampf, da kann man nur den Hut ziehen. Er wurde offensichtlich seit Jahren und mit viel Geld geplant. Das was aber völlig fehlt, ist eine wirkliche Stellungsnahme zum Inhalt. Man schreibt nette Worte in ein Programm, kann aber die ÖVP nicht dazu bringen, dass sie in eine inhaltliche Diskussion einsteigen würde. Mein Eindruck ist: Da geht es aktuell ausschließlich um Politmarketing und was da wirklich kommt, will man mit uns offenbar gar nicht besprechen.

Tebel-Report: Wie stehen Sie zur EU-Vertiefung und zur Globalisierung?

Peter Kolba: Mir geht es so, dass ich mit der EU, so wie sie existiert, überhaupt nicht zufrieden bin. Aber jetzt zu sagen, dass man das Projekt fallen lässt und in die Nationalstaatlerei zurückgeht, ist für mich der völlig falsche Weg ist. Daher glaube ich, das alle Initiativen, die darauf hinzielen, die EU demokratischer zu machen, sozialer zu machen, zu unterstützen sind. Andererseits muss ich zugeben, dass, wenn sich die Katalanen – in dem Fall Nationalisten – dazu finden und sagen, sie wollen eine Abstimmung über ihre Unabhängigkeit abhalten, müssen sie das auch machen können. Und das waren Bilder, wo ich sage, dass war nicht meine EU. Wenn da Millionen Menschen abstimmen gehen wollen und dann militarisierte Polizei auf Rentner einprügelt.

Tebel-Report: Die EU ist aber auch ein Sinnbild für Lobbyismus von Konzernen.

Peter Kolba: Ja

Tebel-Report: Bei CETA und TTIP dürfen nicht einmal die Abgeordneten berichten und können selbst nur erschwert Einsicht nehmen. Soll man eine solche EU überhaupt vertiefen oder diese Vertiefung ablehnen, so lange die EU ein derartig intransparente Politik verfolgt? Oder hat die Liste Peter Pilz dazu momentan noch keine Haltung?

Peter Kolba: Eine abgestimmte Haltung haben wir dazu sicher nicht.

Tebel-Report: Dann habe ich nur noch zwei Fragen. Die eine ist: Habe ich etwas Wichtiges vergessen, was Sie unbedingt sagen möchten? Was nicht gesagt wurde? Was inhaltlich nicht abgedeckt wurde?

Peter Kolba: Was ich inhaltlich einfach noch sagen wollte: Ich habe sozusagen zwei Schwerpunkte. Der Eine ist der Verbraucherschutz – und dort vor allem die Rechtsdurchsetzung. Und der Zweite ist etwas, was sozusagen über mich gekommen ist. Ich bin Schmerzpatient. Ich habe eine Polyneuropathie. Polyneuropathie ist eine neurologische Erkrankung, die wahrscheinlich gar nicht so wenig Leute haben und die der Hausarzt am Land wahrscheinlich als „brennade’ Fiaß’“ bezeichnet. Von den Symptomen her ist das ein brennen in den Füßen, Muskelkrämpfe, ein pampstiges Gefühl usw. Ist unangenehm, jeder Zahnschmerz ist ärger, aber man hat es täglich. Und die Perspektive ist, wenn man die Ursache nicht kennt und das ist bei mir so, dass ich das jetzt noch mein Leben lang haben werde. Ich bin nicht durch Ärzte sondern dadurch, dass ich das in einem Roman gelesen habe, darauf gekommen, dass Cannabis unter Umständen hilfreich sein könnte. Und hab’ mich jetzt erkundigt und habe dann festgestellt: Ja, es gibt ein Präparat, das man sich verschreiben lassen kann. Da ist aber die Situation völlig absurd. Man braucht dafür ein Suchgiftrezept, das ist schon mal ein besonderes Rezept beim Arzt. Damit würde man es kaufen können in der Apotheke – „Dronabiol“ heißt das Präparat – und dieses Präparat ist aber sauteuer. Das heißt meine Dosierung, die mir der Arzt verschreibt, würde mich 800€ im Monat kosten. Das ist einfach nicht leistbar. Und das ist vor allem für viele, viele Menschen nicht leistbar. Ich habe es mir dann doch zwei drei Monate selber gekauft und habe erreicht, dass die Kasse es doch übernimmt. Typisch österreichisch, das kenne ich inzwischen auch von anderen Schmerzpatienten: Wenn man irgendwen hat, der politisch interveniert, dann funktioniert es! Aber das kann so nicht sein. Da muss man, meines Erachtens, eine ordentliche Lösung finden. Daher ist mein Thema, das ich auch einbringe, aber mit Wissen und Duldung aller anderen: Wir brauchen eine Liberalisierung von Cannabis in der Medizin. Es muss eine Lösung sein, wie sie in Deutschland bitteschön, eine Allpartei-Zustimmung erhalten hat. Das ist: mit Rezept in der Apotheke entweder medizinische Dareichungsformen oder Blüten. Und das aber jetzt schnell. Man muss bei der Cannabisdiskussion einfach aussteigen aus dem, dass man immer wieder die allgemeine Legalisierung diskutiert. Das kann man auch tun, aber dafür ist die Bevölkerung in Österreich sicher nicht reif, während für die Anwendung in der Medizin ist sie reif. Es gibt eine Umfrage von Hajek, wo er 70% Zustimmung hat für „In der Medizin“, wo er aber umgekehrt aber 70% Ablehnung hat für den Konsum zur Legalisierung. Daher ist es mein Anliegen, das wir diese Diskussion trennen und ich möchte ausschließlich über die Anwendung in der Medizin diskutieren. Aber da jetzt rasch. In Monaten und nicht in Jahren. Denn wir haben viele, viele Schmerzpatienten, oft eine einem hohen Alter. Diese Menschen wollen einfach noch ein paar Jahre schmerzfrei oder schmerzgelindert leben. Diese Legalisierung für den medizinischen Gebrauch zu erreichen, ist mein persönliches Ziel.

Tebel-Report: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Peter Kolba: Herzlichen Dank