Krimi in Libyen – Analyse
Tebel-Report. – Libyen steht im bürgerkriegsähnlichen Machtkampf zwischen der international anerkannten und türkisch unterstützten Regierung in Tripolis und Ostlibyen, das von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und indirekt von Russland, Frankreich und Israel unterstützt wird. Zwei mysteriöse Ereignisse deuten in Libyen innenpolitische Bewegung an.
Zwei rätselhafte Rücktritte
Am Sonntag vor einer Woche reichte zunächst die Regierung unter Abdullah al-Tani im ostlibyschen Tobruk beim Sprecher des libyschen Repräsentantenhauses, Aguila Saleh, ihren Rücktritt ein. Über ihn soll in der nächsten Parlamentssitzung entschieden werden.
Am darauffolgenden Mittwoch ließ auch der Präsident der westlibyschen Regierung in einer aufgezeichneten Videobotschaft aufhorchen, wonach er im Oktober seinen Rückzug erklären wolle. Fayez al-Sarraj verknüpfte diesen Schritt aber mit dem Abschluss der interlibyschen Gespräche in Genf, in denen eine neue Struktur des Präsidialrates vereinbart, die duale Verwaltung abgeschafft und ein Termin für Wahlen innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre gefunden werden soll. Einem geeigneten Nachfolger wolle er hernach weichen.
Proteste in beiden Landesteilen
Beide angekündigten Rücktritte sind gegenwärtig als Absichtserklärung zu verstehen, die äußerlich mit den Demonstrationen gegen Korruption in beiden rivalisierenden Landesteilen zusammenhängen: Im ostlibyschen Bengasi, in Mari und Bayda kam es im September zu Protesten gegen Korruption.
Davor, bereits Ende August, waren die westlibyschen Städten Tripolis und Misrata von heftigen Protesten erfasst, die sich gegen Treibstoffknappheit, die häufigen Stromausfälle und Korruption richteten. Das Coronavirus verschärfte zudem die Situation.
Machtkampf in Tripolis
Hinzu trat in Tripolis ein subtiler Machtkampf. Am ersten Tag der Proteste hatten Milizionäre der al-Sarraj nahe stehenden al-Nawesi-Miliz Demonstranten beschossen. Innenminister Fatih Bashaga hatte darauf verkündet, dass die Straßenpolizei die Proteste schützen werde. Al-Sarraj reagierte auf den Druck der Straße mit der Entlassung einiger Minister – darunter auch jener seines Widersachers Bashaga. Vermutlich unter Druck der USA und der Türkei wurde Bashaga aber wieder als Innenminister eingesetzt.
Gründe für al-Sarrajs und al-Tanis Rücktritte
Al-Sarrajs Misserfolg, sich des ehrgeizigen Innenministers zu entledigen, könnte somit in den Rücktrittsüberlegungen des libyschen Präsidenten eine Rolle gespielt haben.
Al-Sarrj könnte aber ebenso damit einen Versuch unternehmen, sich hierdurch aus der engen Umklammerung Ankaras zu lösen. In mehreren Abkommen band die Türkei den nordafrikanischen Staat militärisch und wirtschaftlich stark an sich und vermied es auch nicht, eine permanente Militärpräsenz sowie Immunität für seine Soldaten einzufordern.
Al-Sarraj könnte unter diesem Gesichtspunkt die Vasallenschaft zu Erdogan ein wenig abschütteln und eine gewisse Distanz zur Türkei erzeugen, die ihn eventuell auch noch für zukünftige politische Aufgaben legitimieren könnte.
Immerhin scheint die Türkei nicht in al-Sarrajs Planung eingebunden gewesen zu sein. Nach einer Schockstarre von mehreren Tagen, bedauerte Erdogan zunächst den Rücktritt, ehe die Türkei am Dienstag ihren militärischen Beistand auch nach einem Rückzug al-Sarrajs bestätigte.
Ein weiterer und vielleicht auch der wichtigste Grund könnte im US-Wahlkampf liegen. Nachdem Donald Trump mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel ein großer außenpolitischer Erfolg gelang, könnte er nun versucht sein, auch durch eine Friedenslösung in Libyen zu punkten. „Im Einklang mit dem internationalen Projekt für Libyen“ sieht den Schritt jedenfalls der libysche Berater Saad al-Jazwi, Mitglied der Moslembruderschaft, in The ArabWeekly.
Letztlich ist es aber auch durchaus denkbar, in den Rücktrittsabsichten der Regierung in Ostlibyen und des Präsidenten in Westlibyen taktische Winkelzüge zu sehen, um die Demonstrationen abzuschwächen.
Im Oktober werden wir es wissen.
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