KPÖ: SOZIALE GERECHTIGKEIT DURCH STAATLICH GESTEUERTE UMVERTEILUNG – Interview mit Michael Graber, Finanzreferent der KPÖ
Die KPÖ zählt mit SPÖ, ÖVP und FPÖ zu den ältesten Parteien der politischen Landschaft des heutigen Österreichs und ist seit 1959 nicht mehr im Nationalrat vertreten. Dies soll sich nun wieder ändern: Mit dem Zuwachs durch die Spitze der „Jungen Grünen“ will die KPÖ als „KPÖ plus“ nun durchstarten und sozialpolitische Akzente setzen.
Mag. Michael Graber, Finanzreferent der KPÖ, im Gespräch mit „Tebel-Report“
Tebel-Report: Wie stellen Sie sich das ideale politische System vor?
Mag. Michael Graber: Seit dem Bestehen der 2. Republik nimmt die KPÖ an Parlamentswahlen teil und wirbt um Anerkennung und Zustimmung. Sie versucht mit ihren Forderungen und ihren Überlegungen zu überzeugen.
In der österreichischen Verfassung ist das Verhältniswahlrecht festgeschrieben. Das ist wichtig, weil eben dadurch auch kleinere Gruppen in die parlamentarische Repräsentation einbezogen werden können. Allerdings gibt es in Österreich ein Limit, das ist die 4 Prozent-Hürde. Hierdurch ist diese parlamentarische Repräsentation wieder eingeschränkt. Die KPÖ hat immer dafür gekämpft, dass jede Stimme gleiches Gewicht haben soll. Das könnte durch die Senkung der 4 Prozent-Hürde erreicht werden.
Zudem ist die KPÖ im Wesentlichen auf ihre eigenen Medien angewiesen. Der ORF, der das wichtigste politische Medium in Österreich ist, steht auf dem Standpunkt, dass Politik nur im Parlament stattfindet. Daher werden nur die im Parlament vertretenen Parteien in der täglichen Berichterstattung berücksichtigt. Vor den Wahlen wurde nochmals eine Einschränkung vorgenommen: nun kommen fast nur noch Parteien vor, die Klubstärke besitzen.
Tebel-Report: Die KPÖ-Mandatare verzichten – laut Parteiprogramm bzw. so es von Ernest Kaltenegger in Graz bekannt ist – auf einen Großteil ihrer Einkünfte aus politischer Tätigkeit und spenden diese für Menschen in Notlage. Das ist ein klares Zeichen von Idealismus und gelebter Solidarität. Was verstehen Sie heute unter Kommunismus?
Mag. Michael Graber: Kommunismus ist kein Zustand, den man einfach herstellen kann. Marx hat einmal so gesagt: Kommunismus ist die Bewegung, der die derzeitigen Zustände – da hat er natürlich die bürgerliche Gesellschaft gemeint – aufhebt und überwindet und in eine neue Gesellschaft überführt. Unter Kommunismus sind die linken Kräfte zu verstehen, die auf Basis einer emanzipatorischen Politik, die die Teilhabe der einzelnen Menschen, aber auch der wichtigsten Bevölkerungsgruppen an einer politischen Willensbildung ermöglicht. Das kann ein parlamentarisches System sein. Es gibt aber auch andere Formen, wo diese Repräsentanz ermöglicht wird. So gab es in der Vergangenheit ein Rätesystem. Sowjet heißt Räte. Die Sowjetunion war also eine Räterepublik. Auch in Österreich gab es 1918-1919 eine kurze Phase von Räten. Und es gibt noch andere politische Systeme. Aber das ist, sozusagen, eine politische Phase, in der ein breiterer Zugang zur Politik ermöglicht werden muss. Das ist überhaupt die Voraussetzung, um in Richtung Sozialismus, Kommunismus gehen zu können. Denn ohne eine Mehrheit der Bevölkerung ist Kommunismus nicht möglich.
Tebel-Report: Ist da auch direkte Demokratie gemeint? Sprechen Sie sich auch dafür aus?
Mag. Michael Graber: Wir sind für direkte Demokratie, aber nur im Zusammenhang mit anderen Formen der Repräsentation. Es gibt natürlich auch Einschränkungen, denn z.B. über Rechte von Minderheiten kann man nicht abstimmen. Eine Mehrheit kann nicht über eine Minderheit entscheiden. In Österreich sind zum Beispiel die Rechte der slowenischen, kroatischen und ungarischen Volksgruppe gesichert. Darüber kann keine Volksabstimmung stattfinden. Das betrifft auch jene Teile der Verfassung, die sich mit den Folgen des 2. Weltkriegs beschäftigen, namens das Verbot des Nationalsozialismus und des Faschismus. Das kann man auch nicht zur Abstimmung stellen. Dann gibt es auch die Gefahr, dass bestimmte politische Kräfte, meistens Rechte, mittels „direkter Demokratie“ versuchen, andere Formen der politischen Mitbestimmung auszuhebeln. Also zum Beispiel das Parlament auszuschalten.
Tebel-Report: Das würde die kommunistische Partei nicht machen, auch wenn sie in der Mehrheit wäre? Auch nicht die Einschränkung der anderen Parteien?
Mag. Michael Graber: Nein
»Im Vordergrund steht in unserer Politik, dass wir die jetzigen Mechanismen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik umkehren wollen. Jetzt ist es so, dass alles darauf hinausläuft, dass von unten nach oben umverteilt wird.«
Tebel-Report: Angenommen, Sie schaffen den Sprung ins Parlament. In welchen Bereichen würden Sie Akzente setzen?
Mag. Michael Graber: Im Vordergrund steht in unserer Politik, dass wir die jetzigen Mechanismen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik umkehren wollen. Jetzt ist es so, dass alles darauf hinausläuft, dass von unten nach oben umverteilt wird. Das beginnt schon im Betrieb, dass also die Löhne unter dem Titel der Globalisierung gedrückt werden und man einen kleineren Spielraum für Lohnbewegungen zulässt. Die Gewerkschaften spielen da leider mit. Es setzt sich in der Steuerpolitik fort, dass 80, 85 Prozent des Steueraufkommens in Österreich von den Massensteuern gedeckt werden: Lohnsteuer, Einkommenssteuer auf der einen Seite, Mehrwertsteuer auf der anderen Seite. Der große Reichtum in Österreich, der sich bei immer weniger Menschen konzentriert, wird fast nicht mehr besteuert, zu mindestens nicht angemessen.
Wir würden auf jeden Fall einhaken und eine Fülle an Vorschlägen machen, wie wir das Geld, dort wo es ist, holen, um den Wohlstand für die unteren und mittleren Einkommen wesentlich zu verbessern.
Ein zweiter wichtiger Punkt betrifft das öffentliche Eigentum. Wir sind strikt gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums und das vertreten wir Kommunisten nicht alleine. In Großbritannien hat Jeremy Corbyn, der einen großen Wahlerfolg erzielen konnte, die Re-Verstaatlichung der Eisenbahn und wichtiger Infrastruktureinrichtungen gefordert, die von den Neoliberalen privatisiert worden waren. Das sind wichtige Voraussetzungen, um soziale Politik machen zu können. Auch in diese Richtung würden wir gehen.
Tebel-Report: Bedeutet das eine Enteignung der Reichen oder wie kriegt man diese Umverteilung hin?
Mag. Michael Graber: Wir fordern die Einführung einer Erbschaftssteuer, die Einführung einer Vermögenssteuer und eine stärkere Besteuerung der Spitzeneinkommen. Das sind die drei wichtigsten Hebel, um das Rädchen in eine andere Richtung zu bewegen. Österreich hat nach 1945 einen großen verstaatlichten Sektor besessen: Banken, Elektrizitätswirtschaft, Grund- und Schwerindustrie und die Elektrizitätsindustrie waren verstaatlicht. Gibt es alles nicht mehr. Trotzdem war Österreich kapitalistisch gewesen und die Reichen haben trotzdem ihren Reichtum anhäufen können. Wir sind dafür, dass die wichtigen Bereiche der österreichischen Wirtschaft, vor allem der Bankensektor und das Finanzwesen wieder in die öffentliche Hand rückgeführt werden. Das ist doch zumindest eine wesentliche Schlussfolgerung aus der Finanzkrise 2008. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
»Wir fordern die Einführung einer Erbschaftssteuer, die Einführung einer Vermögenssteuer und eine stärkere Besteuerung der Spitzeneinkommen. Das sind die drei wichtigsten Hebel, um das Rädchen in eine andere Richtung zu bewegen.«
Tebel-Report: Das ist ja aber eigentlich eine nationale Politik?
Mag. Michael Graber: Zunächst müsste der Staat natürlich das übernehmen, wer sonst, wenn man es öffentlich machen will. Deshalb ist die KPÖ keine nationale Partei in dem Sinn, dass sie nicht darauf achtet, was in anderen Ländern oder in Europa passiert.
Viele Fragen der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik oder der Umweltpolitik sind auf nationaler Basis nicht mehr alleine zu lösen. Mit dem öffentlichem Eigentum kann man es in Verbindung mit dem Zusammenwirken mit anderen Ländern aber entsprechend steuern, dass den großen nationalen Konzernen die Stirn geboten wird.
Tebel-Report: Die KPÖ wendet sich gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Was verstehen Sie darunter?
Mag. Michael Graber: Unter Rechtspopulismus verstehen wir eine Politik, die nicht alle Menschen in Österreich einbezieht, sondern die Menschen nach verschiedenen Gesichtspunkten unterteilt und spaltet: nach Ethnien zum Beispiel. Rechtspopulismus unterteilt die Menschen nach ihrer Herkunft, unterscheidet also zwischen Inländern und Ausländern oder nach ihrer Religion.
Rechtspopulismus spielt auch immer mit den Ängsten von Menschen, die zu Recht das Gefühl haben, in der Sozialpolitik benachteiligt zu werden und auch tatsächlich benachteiligt sind. Rechtspopulistische Politik greift das Thema aber nicht in dem Sinne auf, wie man die Lage verbessern kann, sondern bietet stattdessen noch schwächere Menschen als Feindbild an. Ein typisches Argument ist folgendes: Die Mindestsicherung beträgt etwas mehr als 800 Euro; die Mindestpension, die Ausgleichszulage eingerechnet, kommt auf einen vergleichbaren Betrag. Und das ist ja ungerecht, wird argumentiert. Damit werden die einen Schwachen gegen die anderen Schwachen oder gegen noch Schwächere ausgespielt, anstatt die Situation mit den Superreichen zu vergleichen.
Tebel-Report: Geht die kommunistische Haltung gegenüber den Superreichen nicht auch auf eine Minderheit vor?
Mag. Michael Graber: Es geht nicht gegen die Menschen, sondern es geht gegen ihre Funktion in der Ökonomie. Das ist der entscheidende Punkt.
Tebel-Report: Wie sehen Sie die Liste Kurz?
Mag. Michael Graber: Sehr konservativ, was den Sebastian Kurz betrifft, aber er spielt auch mit rechtspopulistischen Bildern wie Heinz-Christian Strache. In der Ausländerfrage ist er beispielsweise offensichtlich bestrebt, von der FPÖ Stimmen zu kriegen. Das macht er nicht, indem er sich mit ihnen auseinandersetzt, sondern indem er rechtspopulistische Einstellungen in sein Repertoire aufnimmt.
Tebel-Report: Würden Sie bei Sachthemen dennoch mit rechtspopulistischen Parteien im Parlament auf Sachebene zusammenarbeiten?
Mag. Michael Graber: Wenn die FPÖ einem Vorschlag oder Antrag der KPÖ zustimmt, werden wir nicht nein sagen. Natürlich. Im Grazer Gemeinderat ist die KPÖ mit zehn Mandaten die zweitstärkste Kraft. Da gibt es oft Anträge, die dann von allen anderen Parteien und auch von der FPÖ unterstützt werden. Eine Zusammenarbeit in dem Sinn, das man eine Koalition eingeht oder Absprachen trifft, kann ich mir nicht vorstellen – eine punktuelle Zustimmung für sozialen Verbesserungen hingegen schon.
Tebel-Report: Was unterscheidet die KPÖ von den Grünen, SPÖ und Liste Pilz?
Mag. Michael Graber: Ich würde alle diese Parteien – mit Ausnahme der Neos – zum linksliberalen Spektrum zählen. Das heißt, dass es viele gesellschaftspolitische Forderungen und Vorstellungen gibt, die wir teilen. Die Grünen z.B. sind auch der Meinung, dass die Residenzbürgerschaft eingeführt werden soll. Dass heißt, dass alle Menschen, die einen bestimmten Zeitraum ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben, wählen dürfen. Die Grünen treten auch für bestimmte soziale Anliegen ein, die auch die KPÖ fordern: Umverteilung von oben nach unten. Der Kern des Unterschieds besteht darin, dass wir auch auf die Eigentumsverhältnisse schauen. Das was wir vorhin genannt haben: Öffentliches Eigentum, Finanzwesen in öffentliche Hand, entsprechende Besteuerung großer Vermögen usw. Also da sind wir wesentlich konsequenter als es die Linksliberalen.
Die Neos sind zwar gesellschaftspolitisch linksliberaler Mainstream, wirtschaftspolitisch aber eigentlich DIE neoliberale Partei in Österreich. Wirtschaftspolitisch machen sie genau das Gegenteil von dem, was die KPÖ fordert.
Tebel-Report: Was sagen Sie zur Liste Pilz?
Mag. Michael Graber: Die kann man schwer einordnen. Peter Pilz ist ein Selbstdarsteller und ein Mal gibt er Signale nach links, wie bei dem Thema der Umverteilung, dann gibt er Signale nach rechts, wenn der politische Islam für ihn plötzlich der wichtigste Gegner in Österreich und die Hauptgefahr für das politische System in Österreich ist. Er schwankt zwischen links und rechts und linke Stimmen sind bei ihm sicher nicht gut aufgehoben.
Tebel-Report: Sie wenden sich beispielsweise gegen Frauenfeindlichkeit. Was verstehen Sie in der heutigen Zeit darunter?
Mag. Michael Graber: Die KPÖ definiert sich – auch – als feministische Partei, betreibt also eine Politik, die eine „positive Diskriminierung“ der Frauen beinhaltet. Solange die Ungleichheit in der Arbeitswelt, in der Familie, in der Gesellschaft insgesamt besteht, ist eine Politik notwendig, welche die Interessen der Frauen besonders berücksichtigt. Das heißt, es geht nicht alleine um formale Gleichheit, aber um eine bestimmte systematische Förderung und Bevorzugung von Frauen, bis die strukturelle Benachteiligung durch das Patriachat, das wir nach wie vor in unseren Gesellschaften haben, überwunden ist. Das verstehen wir unter feministischer Politik.
Tebel-Report: Wenn die „positive Diskriminierung“ greift und in bestimmten Berufsgruppen ein stärkerer Überhang an Frauen entsteht würde, müsste es dann nicht auch eine „positive Diskriminierung“ für Männer geben?
Mag. Michael Graber: Bis wir dabei sind, dass Männer auch einmal „positiv diskriminiert“ werden müssen, sind wir noch weit entfernt.
Tebel-Report: Sie sind für eine verbindliche Einkommenshöchstgrenze gemessen an der Armutsgrenze. Wie hoch soll diese liegen und was ist für Sie arm?
Mag. Michael Graber: Es gibt die offizielle Armutsschwelle, die 60 Prozent des Medianeinkommens beträgt. Das sind jetzt um die 1000 Euro. Wir sind der Meinung, dass unter dieser Grenze niemand in Österreich leben darf. Das heißt, man müsste alle Transfers wie Mindestsicherung, Mindestpension, sprich Ausgleichszulage zumindest auf diese Grenze anheben.
Aber es gibt auch andere Aspekte von Armut: Es geht auch um die Teilhabe an Formen des gesellschaftlichen Lebens: Kann man es sich leisten, ins Kino oder Theater zu gehen, sich im kulturellen Bereich zu bewegen oder Bildung zu erwerben usw.
Die KPÖ ist übrigens die einzige Partei in Österreich, die auch auf einem Parteitag den Beschluss gefasst hat, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen.
Tebel-Report: Ich muss noch einmal fragen. Wie hoch soll diese sein?
Mag. Michael Graber: Ich glaube, wir hatten uns einmal auf 1:10 geeinigt. Wichtig ist aber der Zusammenhang, das die Einkommensgrenze für Höchsteinkommen an die Armutsschwelle gebunden ist. Denn wenn es keine Rückkoppelung gibt, dann driftet das immer wieder auseinander.
Tebel-Report: Ist das umsetzbar, z.B. im Fußball oder bei Konzernen, in denen internationale Kräfte geholt werden?
Mag. Michael Graber: Im öffentlichen Bereich auf jeden Fall. Die jetzigen Spitzenfunktionäre des Staates verdienen alle mehr als das 10-Fache der Armutsgrenze. In staatsnahen Bereichen der Wirtschaft, in denen der Staat dementsprechend mitreden kann, ist es auch möglich. Im privaten Bereich muss dann die Besteuerung greifen. Österreich hat in der Nachkriegszeit ein Mal 90 Prozent Einkommenssteuer gehabt. Alles schon da gewesen. Da haben die Kommunisten aber nicht regiert, sondern andere.
Tebel-Report: Was unterscheidet die KPÖ von der SPÖ?
Mag. Michael Graber: Uns unterscheidet von der SP die Perspektive, dass wir eine nachkapitalistische Gesellschaft anstreben: einen Sozialismus, einen demokratischer Sozialismus. Das will die SPÖ nicht mehr. Wir kritisieren die SPÖ, weil sie nicht bereit ist zu mobilisieren. Weder als Partei, noch als Gewerkschaft. Sie schränkt sich auf die parlamentarischen Kräfteverhältnisse ein. Deshalb sagen wir, dass es eine Partei braucht, die von links mehr Druck macht und mobilisiert und überzeugt, dass man auch selber für die eigenen Interessen tätig werden muss und sich nicht nur auf die in der Politik tätigen Kräfte und Leute verlassen kann.
Tebel-Report: Sie sind auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Mindestpension von 1200 Euro, sowie kostenlose Leistungen im medizinischen Bereich. Wie lässt sich dies finanzieren?
Mag. Michael Graber: Wir fordern sozialversicherungspflichtige Einkommen: Wir sind also gegen diese prekären Formen der Beschäftigung, wo die Sozialversicherung umgangen werden kann. Auf der Basis funktioniert auch heute der Sozialstaat, sowohl in der Krankenversicherung, wie auch in der Pensionsversicherung, das Umlagesystem: Die Gesunden zahlen für die Kranken, die Jungen zahlen für die Alten. Dieses System ist allen anderen überlegen, die da angeboten werden.
Das Zweite ist, dass wir für eine Wertschöpfungsabgabe eintreten. Das heißt, dass die Dienstgeberbeiträge für die Sozialversicherung, also vor allem in der Pensionsversicherung, auf alle Elemente der Wertschöpfung ausgedehnt werden müssten. Jetzt ist es ja so, dass die Dienstgeberbeiträge nur bezogen sind auf die Löhne und Gehälter. Die sinken aber in der Tendenz. Andere Elemente der Wertschöpfung bleiben aber unbesteuert und sind nicht sozialversicherungspflichtig. Und Wertschöpfungsabgabe heißt, dass man nicht nur die Löhne und Gehälter, sondern auch die Mieteinnahmen, die Fremdzinsen, die Abschreibungen ebenfalls der Sozialversicherungspflicht unterworfen werden müssen. Das wäre ein riesiger Schritt Richtung Stabilisierung des Sozialstaates und würde auch ein wesentlicher Hebel der Umverteilung von oben nach unten sein.
Tebel-Report: Wie steht die KPÖ zur EU?
Mag. Michael Graber: Wir sind nicht Europa-, sondern EU-kritisch. Die Struktur, in der sich die Union jetzt darstellt, mit Maastricht-Vertrag und Fiskalpakt, lehnen wir ab. Das schränkt ja eine Wirtschaftspolitik zu Gunsten der arbeitenden Menschen wesentlich ein, stranguliert jede Regierung, wenn sie tatsächlich Umverteilung betreiben möchte. Zusammen mit anderen europäischen Linksparteien streben wir eine Neugründung der EU an. Eine Neugründung bedeutet, dass alle Verträge, die die einzelne Länder zu einer neoliberalen Wirtschaftspolitik verpflichten, außer Kraft gesetzt werden müssen. Das ist der Kern unserer Kritik.
Tebel-Report: Das heißt, Sie haben auch heute noch keine sehr positive Haltung zum Kapitalismus?
Mag. Michael Graber: Nein, sicher nicht.
Tebel-Report: Wie ist die Haltung zur Flüchtlingskrise?
Mag. Michael Graber: Allein schon der Begriff passt uns nicht. Die Krise besteht ja nicht in den Flüchtlingen, sondern in den Ländern, aus denen sie flüchten müssen. Bürgerkrieg in Syrien, Lebensverhältnisse in vielen anderen Ländern. Klar ist, dass die Menschenrechtskonvention und die internationale Asylgesetzgebung striktest einzuhalten sind. Da kann es also keine Obergrenzen geben.
Tebel-Report: Der Asylbegriff wird aber heute unkorrekt verwendet.
Mag. Michael Graber: Na gut, bleiben wird bei den Flüchtlingen und Migranten, die sich in der Realität sozusagen mischen. Das ist ein Faktum in der Welt von heute, dass Leute vor Verfolgung, Krieg, aber auch Hunger und unerträglichen Lebensbedingungen flüchten. Für uns sind beide Fluchtgründe berechtigt. Der Großteil aber der Migration erreicht ja Europa nicht. Meistens flüchten die Leute in Nachbarländer, um sich nicht all zu weit von ihren bisherigen Heimatländern aufhalten zu können. Etwa 2 Prozent der Flüchtlinge und Migranten weltweit, glaube ich in einer TV-Konfrontation gehört zu haben, will oder kommt nach Europa. Also eine ganz kleine Minderheit.
Ein zweiter grundsätzlicher Punkt ist folgender: In Europa leben 500 Millionen Menschen oder ein bisschen mehr. Wenn wir uns nicht integrieren in eine Welt von 6,5 oder 7 Milliarden Menschen, dann wird Europa bald ganz anders ausschauen. Zu glauben, dass wir eine Festung Europa haben werden, wie es die frühere Innenministerin einmal gesagt hat, und uns von der Welt abkoppeln, wird nicht geschehen.
Tebel-Report: Wie ich es heraushöre sind Sie aber auch für eine Verringerung des Zuzugs auf Dauer, wenn man die Lebensbedingungen anderswo verbessert?
Mag. Michael Graber: Natürlich gibt es da auch kommunizierende Gefäße. Natürlich. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern, aus denen Migration sich heute speist, wesentlich verbessert wird, wird die Migration oder die Armutsmigration abnehmen.
Tebel-Report: Aber die „failed states“ werden immer mehr.
Mag. Michael Graber: Aber warum? Das hängt mit dem weltweiten Wirtschaftssystem zusammen. Der Kapitalismus ist nicht nur in Österreich, sondern ein weltweites System. Und es ist schon richtig, wenn gesagt wird, dass die EU eine bestimmte Form der Ausbeutung und Ausplünderung von den Ländern, aus denen heute Migration nach Europa kommt, betreibt. Die Handelsbeziehungen, fehlende Investitionen und die Hilfe zur Selbsthilfe ist viel zu gering, um den Anstoß einer Industrialisierung oder selbständige Entwicklung in dieser Ländern zu begünstigen.
Tebel-Report: Die letzte Frage, die ich stelle, ist folgende: Gibt es einen Aspekt, der zu kurz gekommen ist und den Sie noch thematisieren möchten?
Mag. Michael Graber: Ich glaube, wir haben ziemlich viel abgedeckt. Kultur vielleicht noch: Kommunismus war immer auch eine Kulturbewegung. Hervorragende Kulturschaffende waren links, auch zum Teil Kommunisten. Auch in Österreich spielt die Hochkultur eine große Rolle, die auch entsprechend subventioniert wird. Soll sein. Aber auch hier gibt es eine Klassenteilung zwischen Hochkultur und den vielen Kulturschaffenden, die nicht gefördert werden. Da sind wir der Meinung, dass es eine entsprechende Umverteilung geben müsste, zu mindestens eine stärkere Beachtung der vielen vielen Kulturschaffenden in Österreich, weil sie etwas zur emanzipatorischen Entwicklung der Menschen beitragen. Der Zugang zur Kultur muss auch gesichert sein für alle und auch die Existenz von Kulturschaffenden muss gesichert sein. Das ist immer ein wichtiges Anliegen der KPÖ gewesen und auch heute noch so.
Tebel-Report: Danke für das Gespräch.
Mag. Michael Graber: Danke Ihnen.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.