Sollen deutsche Behörden bei speziellen Internetdelikten erleichterten Zugang zu Nutzerpasswörtern erhalten?

Tebel-Report. – Alle „für die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten“ und die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden sollen in Zukunft die Passwörter bei allen Telemediendiensten erhalten können – „vom sozialen Netzwerk bis zur Plattform für Kochrezepte“, wie Netzpolitik.org pointiert ausdrückt. Dies bildet den Teil eines Gesetzesentwurfes des deutschen Justizministeriums gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität, das als Referentenentwurf vorliegt und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) präzisieren soll.

Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz

Das deutsche Justizministerium sieht im Gesetzesentwurf ein Mittel, um der „zunehmenden Verrohung“ in den sozialen Medien zu begegnen. Es soll vor allem „gesellschaftlich und politisch engagierte Personen“ schützen, gegen die sich die Verrohung „durch stark aggressives Auftreten, Einschüchterung und Androhung von Straftaten“ richtet, wie der Referentenentwurf darlegt.

Dabei gehen den Autoren die bisherigen rechtlichen Möglichkeiten nicht weit genug. Anbieter sozialer Netzwerke sollen solche Inhalte nicht alleine eigenständig löschen, sondern nun auch „bestimmte strafbare Handlungen an das Bundeskriminalamt (…) melden.“ Um eine Strafverfolgung sicher zu stellen, sollen die besagten Behörden Zugriff auf Passwörter und IP-Adressen erhalten.

Ein vergiftetes Weihnachtsgeschenk?

In der Internet-Gemeinde wird der Referentenentwurf weniger positiv gesehen: So sieht der Hauptgeschäftsführer des Internet-Branchenverbandes Bitkom, Dr. Bernhard Rohleder, den Kampf gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Internet prinzipiell als gerechtfertigt an. Dennoch gibt er sich verwundert:

Herausgabe vertraulicher Passwörter ohne richterlichen Beschluss, automatisierte Weiterleitung von IP-Adressen in Verdachtsfällen – wir sind erstaunt, dass solche Vorschläge aus jenem Ministerium propagiert werden, das sich den Datenschutz besonders groß auf die Fahnen geschrieben hat.

Dr. Bernhard Rohleder auf Bitkom
(Die schriftliche Fassung des Referentenentwurfs wurde am Montag vom Justizministerium korrigiert. Anscheindend soll nun doch ein richterlicher Beschluss notwendig sein; Anm. der Red.)

Der Strafverteidiger und Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner versteht den Entwurf als warnenden Weckruf: „Der Gesetzentwurf markiert einen Wendepunkt: Er kombiniert gesellschaftliche Fehlentwicklungen mit einem Dammbruch der Bürgerrechte,“ schreibt er seinem Cybercrime Blog.

Netzpolitik.org sieht darin einen vorgeschobenen Grund:

„Die große Koalition nutzt den Kampf gegen Rechtsextremismus, um kräftig an der Überwachungsschraube zu drehen: Soziale Netzwerke sollen bald bestimmte Straftaten automatisch ans Bundeskriminalamt melden. Darüber hinaus sollen alle Anbieter von Telemediendiensten Daten ihrer Nutzer:innen an Polizei und Geheimdienste herausgeben müssen.“

Netzpolitik.org

Auch der Verband der Internetwirtschaft e.V. warnt vor „massiven Eingriffen in Bürgerrechte und unabsehbare Folgen für Datenschutz und Datensicherheit im Netz.“ Laut eco Vorstandschef Oliver J. Süme werde damit faktisch „eine umfassende Onlinedurchsuchung möglich, einschließlich Zugriff auf Kommunikationsinhalte wie E-Mails, in der Cloud hinterlegte Fotos, Dokumente, etc. Das ist der große Lauschangriff im Netz, den keiner, dem Bürgerrechte und Verfassung irgendetwas bedeuten, wirklich wollen kann.“

Jens Ferner stellt letztlich den Gesetzesentwurf in den größeren Rahmen der Entwicklung des Strafrechts. Er sieht die Tendenz, dass sich das Strafrecht von der „ultima Ratio“, dem ultimativen Zugriff des Staates zu einem „Mittel sozialer Regulierung“ wandelt, „mit dem nicht nur äusserst verwerfliche sondern gesellschaftspolitisch schlicht ungewünschte Handlungen verfolgt werden.“

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