270 oder warum Donald Trumps geringe Chancen auf eine Wiederwahl hat : ANALYSE
Tebel-Report. – Der nächste Präsident der USA wird vermutlich Joe Biden heißen. Der Grund liegt aber weniger an den gegenwärtigen Turbulenzen, in denen Donald Trump und die USA stecken, sondern an längerfristigen Trends.
Diese spiegeln sich in den Umfrageergebnissen in den Bundesstaaten und in der zu erwartenden Zahl an Wahlmännern wieder, die darüber entscheiden, welcher Kandidat im November das Präsidentenamt wird.
Der Wahlsieger benötigt 270 Wahlmänner
Die Bedeutung der Wahlmänner ergibt sich aus dem Mehrheitswahlrecht der USA. Nach dem Prinzip „The winner takes it all“ erhält der stimmenstärkste Kandidat in 48 von 50 Bundesstaaten nicht nur den prozentuellen Anteil an Wahlmännerstimmen (wie wir es aus Mitteleuropa kennen), sondern alle im Bundesstaat zu vergebende Delegierten.
Deren Anzahl richtet sich nach der Einwohnerzahl. So verfügt Kalifornien mit seinen knapp 40 Millionen Einwohner über 55 Wahlmänner, Texas mit über 28 Millionen Bewohnern über 38, Ohio mit knapp 11 Millionen Einwohnern über 18 und Alaska mit einer dreiviertel Million Menschen über 3 Delegierte.
Um die 55 Wahlmänner Kaliforniens auszugleichen, benötigt ein Kandidat so beispielsweise fast den gesamten US-amerikanischen Mittelwesten mit 10 Bundesstaaten (Montana, Idaho, Wyoming, North Dakota, South Dakota, Nebraska, Idaho, Kansas, Oklahoma und Arizona)
Daraus wird die Bedeutung einzelner einwohnerreicher Bundesstaaten ersichtlich und auch, dass nicht die Anzahl der Wahlstimmen entscheidet, sondern das Einsammeln von 270 Wahlmännern.
Joe Biden hat bereits 154 Wahlmänner sicher hinter sich
Und genau hier liegt der Kern des Problems, dem sich Donald Trump in dieser Wahl gegenüber sieht: Wichtige Bundesstaaten liegen – geradewegs – traditionell in den Händen der Demokraten. Aber nicht nur das: Trumps polarisierende, auf seine Klientel abgestimmte Politik, hat das demokratische Lager gefestigt. Joe Biden führt in Umfragen nahezu uneinholbar in jenen Bundesstaaten, die 2016 für Hillary Clinton votierten. Deswegen geht Biden bereits mit einer sicheren Basis von 154 Wahlmännern aus Kalifornien (55), New York (29), New Mexiko (5), Virginia (13) und den nordöstlichen Bundestaaten Massachussetts (11), Connecticut (7), New Jersey (14) oder Maryland (10) ins Rennen.
Um dies Aufzuwiegen muss Trump folgerichtig jene Bundesstaaten für sich entscheiden, die ihm 2016 die Stimme gaben. 37 seiner 307 Wahlmänner von 2016 dürfte er einbüßen.
Donald Trump darf 37 Wahlmänner verlieren
Das wird aber alles andere als einfach. Zwar spricht für Donald Trump, dass sich die USA in einem Kulturkampf befinden. Hier wird so mancher seiner eher ländlichen Wähler über Trumps Leistungen in der Coronakrise, den daraus resultierenden wirtschaftlichen Turbulenzen und seinem konsequent kompromissloses Verhalten den Demonstrationen gegen übermäßige Polizeigewalt und „systemischen Rassismus“ hinwegsehen, um eine erneute „Identity Policy“ zu verhindern, die unter Barack Obama und seinem Vizepräsidenten Joe Biden eindeutig gegen die evangelikalen Weißen und den weißen Mittelstand gerichtet war und erst Donald Trump in das Präsidentenamt gehievt hatte.
In den vier Jahren seiner Präsidentschaft haben sich aber dennoch längerfristig fundamentale Gewichte verschoben. Trump, der Polarisierer, kommt mit seiner Rhetorik nur mäßig bei Frauen an, auch „englisch sprechende Asiaten“ wenden sich von den Republikanern ab. Auch die Jugend wählt weit mehr links als die Eltern und Großelterngeneration.
Deswegen sieht es momentan selbst in jenen Bundesstaaten für den US-Präsidenten trüb aus, die ihm 2016 einen Wahlerfolg bescherten: Nur vier Bundesstaaten mit 40 Wahlmännern kann sich Donald Trump sicher sein. In weiteren Bundesstaaten mit insgesamt 55 Wahlmännern liegen Trump und Biden gleichauf und selbst in wichtigen republikanischen Bundesstaaten wie Missouri, Texas und Arkansas weisen die Umfragen nur auf eine hauchdünne republikanische Mehrheit hin. Schon der Verlust von Texas mit seinen 38 Wahlmännern würde Trumps Hoffnung auf die Wiederwahl zerstören.
Es kommt aber noch schlimmer: In Michigan, Georgia und Florida dürften die Republikaner aktuell so weit zurück liegen, dass ein Erfolg Trumps unwahrscheinlich scheint. Alleine der Verlust von Florida in Verbindung mit dem Verlust von Georgia oder Michigan würde bereits ebenso zur Niederlage führen.
Somit stellt sich die Situation folgend dar: Um eine sehr wahrscheinliche Niederlage zu verhindern, muss Donald Trump nun seine „Rampensau-Qualitäten“ auspacken, die „Identity Policy“ mit seinem Versuch anprangern, die Gesellschaft zu wandeln und der weißen Mehrheit die Kontrolle über die USA zu entziehen, sowie mit biegen und brechen die Wirtschaft wieder in Gang setzen.
Vielleicht kann er sich noch in jenen Bundesstaaten durchsetzen, in denen er knapp führt. Vielleicht sogar einzelne Staaten gewinnen, in denen ein Gleichstand herrscht. Ob er aber sowohl Arizona, wie auch in Texas, Kansas, Iowa, Wisconsin, Michigan, Ohio, Pennsylvania, North Carolina, Georgia, Texas, Florida für sich entscheiden kann, ist schwer vorstellbar.
Denn bis zum Wahltag wird sich die US-Wirtschaft kaum erholt haben, die aufgeheizte Stimmung in Teilen seines Staatsvolkes wohl keiner gesellschaftlichen Harmonie und die Folgen seiner fehlenden Coronapolitik und den bereits über 120 000 Toten vergessen sein.
Bildquelle: Image by Roy Harryman from Pixabay
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